Sonntag, 1. April 2007

Addio del Passato

oder
Versuch zu einem Epilog


Vier Tage bin ich wieder da, eine Woche, dreizehn Tage, zwei Wochen, drei, mittlerweile über ein Monat. Jedes Mal, wenn ich beginne, diesen einen, letzten, Eintrag zu schreiben breche ich nach einer kurzen Weile wieder ab, da die Sinnhaftigkeit eines jeden weiteren Wortes für mich in Frage steht. Eine Zusammenfassung von schon an sich unfass- und -beschreibbaren Erfahrungen zu bieten, einen Schluss, ist genauso widersinnig wie ein und dieselbe Geschichte sooft zu erzählen, bis ich mich selbst in ein Muster verlaufe, eine wahre Erzählung schaffe an einer Stelle, an der eigentlich erzählte Wahrheit stehen sollte, und so selbst beginne, das eigentlich Wahre zu vergessen und das für mich Wesentliche zu übergehen. In den letzten Wochen ist mir nichts so bewusst geworden wie die Zweidimensionalität der Vergangenheit. Ich sitze in einem Cafe am Michaelerplatz und erzähle eine Geschichte. In einem Tonfall, in bestimmten Sätzen, mit einer Klimax, mit einer Reflexion. Am nächsten Tag sitze ich wieder im selben Cafe, mir gegenüber sitzt ein anderes Gesicht. Die gleiche Frage ruft dieselbe Geschichte hervor. Im selben Tonfall, mit denselben Worten, mit derselben Klimax. Vom Erleber werde ich zum Erzähler, und fühle mich selbst wieder so fest in den Alltag verankert, wie die Schrauben, die meine Weltkarte tragen und durch Dübel in der Wand gehalten werden. Die Zeit davor, das was vor dem Beginn der Reise am 28. Juli stand, scheint mir heute realitätsnäher und greifbarer als das, was ich in den letzten sieben Monaten erlebt, gesehen und erfahren habe. Wie wenn man während einer REM Phase aus einem Traum aufgeweckt wird bin ich vor gut fünf Wochen in Wien gelandet, habe meinen Rucksack ein letztes Mal ausgepackt, aber anstelle ihn wieder einzupacken in das hinterste und unterste Fach meines Kleiderschranks gestellt, bevor ich ihn doch wieder herausgeholt habe, ganz einfach um ihn noch ein wenig dastehen zu haben, präsent zu spüren. Meine Schuhsohlen habe ich von den daran hängenden Lederfetzen abgetrennt und eingerahmt, meine Kamera nicht mehr eingeschalten seit ich die letzten Fotos aus New York auf meinen Laptop übertragen habe. Von all den Emailadressen, die ich auf unzähligen Papierstücken aus der ganzen Welt gesammelt habe, habe ich die Hälfte in den Papierkorb geworfen, da ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wer sie mir gegeben hat. Vor nicht einmal zwei Monaten noch fuhr ich in Costa Rica an einer Dole Bananenplantage vorbei, heute sehe ich im Fernsehen Werbung für Dole Bananen aus Costa Rica und kaufe sie anschließend beim Interspar. Als Tribut, als Geste, oder ganz einfach als Andenken. Nach wie vor schlägt irgendetwas von innen nach außen, wenn ich einen roten Toyota Corolla sehe. Was bleibt, sind Fotos. Knapp fünfzehn tausend. Und Worte. Drei Taschenbücher mit einem Lederband darum, von denen ich mir vornahm, sie bis zum nächsten Großprojekt nicht zu lesen. Fünfhundert Emails, die ausgedruckt vor mir liegen, ein paar Eintritts- und Ansichtskarten, diese und jene kleinen Kleinigkeiten, die im Aufwand, sie mit nachhause zu nehmen, geringer waren als im Wert, sie für immer in einer blaugestreiften Kartonbox aufzubewahren. Und Erinnerungen, die wesentlich einfacher zu handhaben sind, als Emails, Bücher oder Fotos. Weder muss man sie ordnen und auf ein anschaubares Minimum minimieren, noch muss man sie suchen, ausdrucken oder sich damit abmühen, seine eigene Handschrift zu lesen. Sie sind einfach da, konkret in einem verschwommenen Äther, irgendwo versteckt, und tauchen doch immer zum richtigen Zeitpunkt auf. Wenn ich im Nieselregen auf einer Brücke über den Donaukanal gehe und an laotische Gewitter denken muss. Wenn ich um zwei in der Früh alleine am Minoritenplatz stehe und mir nächtliches Baden in australischen Schluchten in den Sinn kommt. Wenn mir in einem Freundeskreis der eine oder andere Charakter fehlt, dessen Stelle dieser aus England oder jener aus Argentinien perfekt füllen würde.
Wo was wann. Warum überhaupt. Wozu war das letzte halbe Jahr eigentlich gut, wenn nicht alleine, um meinen zurückstolzierenden Alltag durch unvorhersehbare Erinnerungswellen uneben und anspruchsvoller zu machen, und oftmals sogar aus dem Sinn zu rufen. Mehr eine Aussage als eine Frage, denke ich. Ich habe seit einiger Zeit entdeckt, dass ich weder Erklärungen noch Begründungen mag. Am liebsten habe ich die Dinge so, wie sie dastehen. Offen und pur, unerkennbar und doch ganz klar. Nie aufgeklärt, immer mit einem unsichtbaren Fragezeichen dahinter und der Möglichkeit, die Dinge um ein, zwei oder mehrere Ebenen zu erweitern, sodass man sie mit anderen Gedanken verbinden kann, und damit Netzwerke erstellt.
Ich dachte vom Reisen immer als eine Form des Lebens, aber ich habe entdeckt, dass es eine Alternative ist. Leben ist das, was man tut. Je nach Anschauung entweder das, was man tun muss, oder das, was man tun darf. Auf jeden Fall aber etwas, dem man sich stellen muss. Reisen ist ein selbst geschaffenes Privileg. Man kann auch ohne auskommen, aber wenn man die Chance erkennt, wäre es närrisch, sie nicht zu nutzen. Der große Unterschied nun zwischen dem Leben und dem Reisen ist, dass man beim Leben Teil eines Prozesses ist, den man, so fest ist man in ihm integriert, kaum als solchen erkennen mag. Beim Reisen stellt man sich bewusst einem solchen Prozess gegenüber, erlebt ein sich fortbewegendes Bild, das sich ständig verändert und in gewisser Weise selbst lebt. Die Welt ist lebendig, habe ich festgestellt, und aktiver, als ich sie eingeschätzt hätte.
Die letzten Monate waren eine Auseinandersetzung. Mit Menschen, mit Ländern, mit Kulturen, mit mir selbst. Eine Aussetzung gegenüber all diesen Dingen, die wirken und gewisse Reaktionen hervorrufen sollten. Die Provokation einer Entwicklung, die an mehrere Punkte, aber nie an ein einziges Ziel führen sollte. Ich glaube, dass das gelungen ist. „I went to the woods because I wished to live deliberately,” sagt Thoreau, “to front only the essential facts of life, and see if I could not learn what it had to teach, and not, when I came to die, discover that I had not lived.”

Mittwoch, 21. Februar 2007

Über Sprachlosigkeit...

Zum ersten Mal bin ich sprachlos und weiss nicht ein Wort, das mir passend vorkommt. Am ehesten würde ich einen Punkt setzen, einen einzelnen kleinen runden Punkt, oder drei.
Zweihundertzehn Tage bin ich gegangen, gelaufen, gesprungen, geflogen, gewandert, gefahren, geklettert, gekrochen, gefallen, gelegen, gerutscht, geschwommen, getaucht, gereist, über unter neben zwischen und durch Städte, Strassen, Berge, Vulkane, Wiesen, Wüste, Eis, Schnee, Sand, Dschungel, Regenwald, Seen, Flüsse, Meere, Ozeane, habe gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, getastet und gefühlt, habe gedacht, nachgedacht, mich ausgesetzt und auseinandergesetzt, geplant und umgeplant, viel genommen und einiges gegeben, hunderte Menschen aus 68 verschiedenen Nationen getroffen, mich ausgetauscht, mich, andere und etwas anderes Kennen gelernt, Erfahren gelernt, probiert und reflektiert, verglichen und neue Maßstäbe für mich selbst gesetzt, neue Ziele festgelegt, alte Ziele höher angelegt. Und morgen fahr ich heim. Wie simpel das klingt. Wie Realitätsfern, und doch ist dieser Gedanke das einzige, was mir im Moment an den letzten Monaten real vorkommt. Ich habe jeweils zwei Frühlinge und Sommer hintereinander erlebt, kehre nun doch in den Winter zurück, aber nur um einen weiteren Frühling und Sommer zu erleben. In Thailand war ich Kickboxen und Tuk Tuk fahren, in Laos Tubing und mit drei Mönchen spazieren, in Kambodscha zum Sonnenaufgang in einem tausend Jahre alten Tempel. In Malaysien mit Blutegeln und Ratten im Dschungel geschlafen, in Singapur in der U-Bahn M&Ms gegessen, ohne dafür bestraft zu werden, in Indonesien war ich bei einer Kecap Performance und in Australien bin ich mit Manta Rays geschwommen und im Gleitdrachen über kristallklare Seen geflogen. In Neuseeland habe ich ein Auto gekauft und um drei in der Früh einen Vulkan bestiegen, auf den Fijis meine Ukulele gespielt, in Amerika den Times Square fotografiert, in Kanada ein Schneebrett ausgelöst, in Costa Rica einen Fischotter vergeblich zur Milka Schokolade bekehren wollen, mir in Nicaragua von zwei Menschen gleichzeitig die Haare schneiden lassen, in Panama einen Hut gekauft. Die Entscheidung, aufzubrechen, habe ich nie wirklich getroffen. Nie treffen müssen. Es war immer klar, dass ich einmal aufbrechen werde, und ich werde es wieder tun. Jetzt gehe ich zunächst aber zu etwas zurück, von dem ich froh bin, dass es da ist und dass ich dorthin zurückgehen kann. Studium, Freunde, Leidenschaften, Hobbies. Ob in dieser Reihenfolge, weiß ich nicht. Auch wenn es solche Menschen sind, die ich mehr als alle anderen bewundere, bin ich nicht der Charaktertyp, der aufbricht um auf unbestimmte Zeit von etwas fort zu bleiben. Alles muss konkret sein, ganz besonders die Ziele und das Rückreisedatum, und nur dann bleibt genug Zeit, sich einzustellen und abzufinden, nur dann führt das ganze für mich zu etwas. Morgen schließt sich der letzte Kreis, dreihundertsechzig Grad um die Erde. Das Erfüllen von Zielen wie Laos, Australien, Neuseeland oder Costa Rica befriedigt, wirft aber mehr Fragen auf, schafft neue Wünsche, macht die Liste länger. Als eine symbolische Abschlusstat gehe ich ins Planetarium in New York, blicke noch ein Stück weiter über den Horizont als sonst, suche neues, unbekanntes. Und doch lande ich am Abend wieder im Theater, irgendwo neben vierzehnjährigen Freaks aus New Jersey und Japanern, die aus Mangel an physischer Größe nicht über das Stehplatzgelände hinwegschauen können. Einundzwanzigster Februar Zweitausendsieben. Diesen Tag hätte ich mir vor sieben Monaten anders vorgestellt.
m

Donnerstag, 15. Februar 2007

Über Airbags, Cheesecakes und Auslaufen...

Während der gesamten Zeit des unterwegs Seins versucht man, das was man denkt und erlebt in Worte und Bilder zu fassen, zu reflexieren, umzuwandeln und zu konservieren. In der Schule wird man gelehrt, am Ende einer Arbeit und oder Auseinandersetzung mit einem Thema zu einem Schluss, einer Einsicht, einer Zusammenfassung zu kommen, den Grundgedanken nocheinmal wiederzugeben. Dazu war New York geplant, als Airbag, das den Aufprall auf das Heimkommen abschwaecht. Als Zeitraum, der mir in ungewohnter Umgebung aber mit gewohnten Umgebenden den Weg zurück in die Fugen vorschlägt. Ich treffe hier auf vier fünftel meiner Familie, sehe, dass alles beim alten ist und sich doch etwas verändert hat, schreibe wieder auf der vertrauten Tastatur meines Laptops und komme mir vor, wie wenn ich noch nie ein ä oder ü gesehen habe, melde mich für ein Seminar an, dass ich in zwei Wochen wieder besuchen soll. "Aaaaaaaaaaaaaaaaaaah" war in der letzten Woche ein fester Bestandteil meines Wortschatzes, die Vorstellung, in vier Tagen in ein Land einzureisen ohne einen Stempel dafür zu bekommen, scheint mir absurd. New York sollte auch eine Art Reakklimatisierung an Vertrautheit sein, und abgesehen vom Klima (Minus Grade, Schneechaos, Schnupfen und literweise Tee) ist das auch der Fall. Ich erkenne das, was einmal Alltag war, und sehe die Verschwommenheit klarer werden, fast wie ein Bild im Guggenheim Museum, das erst Sinn ergibt, wenn man es beim Hinuntergehen der Spirale nach einer Ablenkung durch einhundert andere Bilder zum zweiten Mal betrachtet. Warum kam ich nach New York? Die erste Antwort wird in Zukunft lauten "Cheesecakes", die ehrlichere ist allerdings, "Weil es am Weg liegt". Wieder entdecke ich eine Stadt, die schon im ersten Eindruck vermittelt, dass ich nur hier bin um eine Vorschau auf das zu bekommen, was mich erwartet, wenn ich einmal hierher zurückkomme um zu reisen, arbeiten oder leben, und früher oder später muss das jeder einmal in New York. Die Zeit verbringe ich zu jeweils einem Drittel damit, a. herumzulaufen und zu erkunden, b. Theater, Oper oder Musical anzusehen und c. herauszufinden und zu planen, welche Stücke, Opern und Musicals es spielt, auszuwählen, welche ich sehen kann und will, und schlussendlich einen Weg zu finden, auch wirklich rechtzeitig ein bezahlbares Ticket dafür zu bekommen. Egal ob am Broadway, wo die Augen blutunterlaufen sind von all dem Scheinwerferlicht und die aufgesetzt künstlichen Grinser sich bis zu den Ohrläppchen hinauf ziehen, oder in der Met, wo der Dirigent fuer die Traviata nicht einmal mehr eine Partitur braucht, in New York verfliegen die Abende schneller als der Tag, und obwohl ich in keiner einzelnen Stadt länger war als hier gehen mir die Abende aus, bevor ich wieder in Wien beginne mit dem Repertoir aufzuholen. Freiheitsstatue, Ground Zero, Empire State Building, Times Square. In keiner Stadt gibt es soviele Ikonen, soviele Assoziationen und Bilder, die man schon kennt, bevor man sie fotografiert. An diesem Ort kann man sich gar nicht fremd oder neu fühlen, jede Straßenecke hat man schon einmal in irgendeinem Film gesehen. New York ist die LED Lampe unter den Glühbirnen, auch wenn ich mir selbst nicht ganz sicher bin, was ich damit meine. Die Stadt ist anders im Prinzip, funktioniert anders als übliche Leuchtmittel, leuchtet heller, pointierter, weißer, und erfüllt doch den selben Zweck wie jede andere Stadt. Ich fühle mich jetzt schon wie daheim, und das ist ein ironischer Gedanke, wenn ich mich daran erinnere, noch gar nicht zuhause zu sein. Zu dem erwarteten Schluss, den ich zu Beginn ansprach, bin ich noch nicht gekommen. Das Gefühl, "unterwegs zu sein", habe ich am Flug von Costa Rica nach New York aufgegeben und mit der letzten Seite meines Tagebuchs in den Rucksack gepackt. Jetzt bin ich angekommen, schon da, und blicke mehr vorwärts als zurück. Das Spiel ist abgepfiffen, das erwuenschte Resultat erzielt und uebertroffen. In Gedanken ist man schon beim nächsten, aber der Körper läuft noch auf Hochtouren und nach dem Muster, auf das man ihn trainiert hat. Deshalb läuft man aus, bringt sich ganz langsam von dem Hoch hinunter, um das Ungleichgewicht zwischen Körper und Geist auszugleichen. Zum Augleich empfehlen sich/empfehle ich: Kaffee von Starbucks, die Sitze am vierten Rang in der Met, das M&M Store am Times Square und das Disney Store nicht weit davon, Central Park, trotz Schnee und Eis, Off-Broadway Krimis, das Durchsehen alter Fotos nach einer Wiedervereinigung mit meiner Festplatte, die mich des weiteren von einer Beschränktheit auf 256 MB Musikauswahl erlöst, ein Ausblick vom Rockefeller Center, eine chinesische Neujahrsfeier in Chinatown, das Guggenheim oder MoMA, ein Eishockeyspiel im Madison Square Garden, das Wiedertreffen auf seine Familie, und Cheesecakes. Jede Menge Cheesecakes...

Sonntag, 11. Februar 2007

Ueber Marcel Proust...

Das erste Mal (unglaublich, haette nicht gedacht, dass ich in der "letzten" Woche noch etwas "zum ersten Mal" tue) klicke ich auf den Button "Beitrag verfassen", weil ich sonst nichts anderes zu tun habe. Immer wieder einmal wundere ich mich, ob sich ein Mensch in seinen grundlegenden Gedanken und Einstellungen, Wuenschen und Beduerfnissen aendert. Wenn, dann auf so einer Reise. Und deshalb stelle ich mir wiedereinmal selbst die Fragen, die ich so gerne anderen stelle, und heute ausnahmsweise ausschliesslich im Bezug auf diese Reise. Hier einige Gedanken meinerseits, wuerde mich ueber andere Antworten eurerseits freuen (--> Kommentare), muessen ja nicht alle Fragen sein, aber vielleicht die eine oder andere.

In den letzten sieben Monaten...

Was ist für Sie das grösste Unglück?
Am Morgen in irgendeinem Hostel aufzuwachen und zu entdecken, dass sowohl mein Tagebuch als auch die Kamera mit den letzten 1000 Fotos verschwunden sind.

Wo möchten Sie leben?
In Laos. In Perth, Sydney, Queenstown, Vancouver, San Francisco. Ueberall fuer ein, zwei Jahre.

Was ist für Sie das vollkommen irdische Glück?
Um sechs in der Frueh schon auf einen Vulkan gestiegen zu sein, die Sonne aufgehen zu sehen und sich darauf zu freuen, dasselbe in den folgenden Wochen noch mehrmals wiederholen zu koennen.

Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?
Uebermut. Notluegen. Euphorie.

Ihr liebster Romanheld?
Ralph aus "Lord of the Flies".

Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte?
Wahrscheinlich jeder Mensch, der ein neues Land, eine neue Umgebung entdeckt, sich auf eine neue Reise begibt.

Ihre Lieblingsheldin in der Dichtung?
Medea, ganz besonders wenn sie Birgit Minichmayr spielt.

Ihre Lieblingsmaler?
Walt Disney.

Ihr Lieblingskomponist?
Mozart.

Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten?
Spontanitaet. Interesse. Vielfaeltigkeit.

Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten?
Unkompliziertheit, und doch einen Grad an Kompliziertheit, der sie interessant macht. Einen starken Willen. Die richtige Mischung aus Interesse und Offenheit, ein Drang zum Abenteuer.

Ihre Lieblingstugend?
Vielseitigkeit.

Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Einen neune Weg zu finden, obwohl ich schon einhundert kenne, die mir auch gefallen.

Wer oder was hätten Sie sein mögen?
Glasblaeser. Entdecker. Erfinder und Patentinhaber des Wortes "Tourismus". Eine giftige Schlange, oder das achtjaehrige Kind, das aus dem Zoo in Sydney einen Pinguin gestohlen hat.

Ihr Hauptcharakterzug?
Zielstrebigkeit.

Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten?
Die Unkompliziertheit an denen, die ich in den letzten Monaten neu getroffen habe, die Bestaendigkeit an denen, die ich in den letzten Monaten nicht gesehen habe.

Ihr grösster Fehler?
Euphorie, die sich an einem Punkt in Leichtsinn wandelt.

Ihr Traum vom Glück?
All das, was ich erlebt habe, und plane, in meinem Leben noch zu erleben.

Ihre Lieblingsfarbe?
Das Blau des Meeres auf vierzig Metern Tiefe. Das rot des einen Sonnenaufgangs auf Nanuya Lailai. Die endlosen gruens des Dschungels.

Ihre Lieblingsblume?
Sarracenia Purpurea.

Ihr Lieblingsvogel?
Der Tukan.

Ihr Lieblingsschriftsteller?
Mark Twain. Jeder, der fuer Lonely Planet schreibt. Wie gesagt, beides nur im Bezug auf die letzten sieben Monate.

Ihr Lieblingslyriker?
Die kreativen Lonely Planet Schriftsteller.

Ihre Helden in der Wirklichkeit?
Jeder, der mich am Strassenrand aufsammelt, wenn ich meinen Daumen ausstrecke. Jeder, der mir Dinge entweder erleichtert, verschoenert, oder sosehr erschwert, dass die Loesung zu einem Abenteuer wird.

Ihre Lieblingsnamen?
Shannon. Erin. Bethany. Agata. Julie. Jacob. Jessyca.

Was verabscheuen Sie am meisten?
Traegheit. Zeitverschwendung. Wenn man wertvolle Dinge nicht wertschaetzt.

Welche geschichtlichen Gestalten verabscheuen Sie am meisten?
Die Roten Khmer.

Welche militärischen Leistungen bewundern Sie am meisten?
Die Entdeckung von Neuland.

Welche Reform bewundern Sie am meisten?
Zum einen die Waehrungsreform. Vielleicht bin ich der erste Europaeer, der das schreibt, aber in den letzten Monaten und im Vergleich zu manch anderer Waehrung tut der Euro gut. Zum anderen eine neue Schulreform, die ich durchfuehren moechte, wenn ich einmal Bundespraesident sein sollte oder jemanden kenne, der es bis dahin schafft. Genau hab ich mir das noch nicht ueberlegt, aber inetwa sieht das ganze so aus, dass ein Jahr normaler Unterricht ersetzt wird durch vier Monate an einer Schule im Ausland, vier Monate Reise und vier Monate Freiwilligendienst in einem anderen Land.

Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?
Zeit dehnen zu koennen. Zu fliegen ohne ein Round the World Ticket.

Wie möchten Sie sterben?
Durch einen Schlangenbiss, aber nicht in den naechsten fuenfzig Jahren.

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Klar. Erfuellt.

Ihr Motto?
Liest euch die letzten 63 Beitraege durch!

Samstag, 10. Februar 2007

My Heart will go on...

Nach einer viereinhalbstuendigen Bootsfahrt auf einem engen Kanal durch den Dschungel komme ich in einem Dorf mit 690 Einwohnern an, das dafuer weltbekannt ist, dass sich gelegentlich einhundertachtzig Kilo schwere Schildkroeten den Strand hinaufwuzeln um hunderte Ping Pong Baelle o.ae. zu vergraben. Ich wundere mich ueber die Natur, warum die Dinge so sind, wie sie sind, warum sie so aussehen, wie sie aussehen, und trotzdem koennte ich sie mir nicht anders vorstellen, muss ihnen eine gewisse Perfektion anerkennen. Und Schoenheit.
Ich gehe durch das Dorf, aus einem Fensterrahmen ohne Fenster toent Celine Dion's "My Heart will go on". Zwanzig Schritt weiter toent das selbe Lied aus einem unterschiedlichen Haus. Fuenf Minuten spaeter ist es nochimmer zu hoeren, aus einem dritten Haus, das ich passiere. Was ist denn hier los, denk ich mir, ich dachte ich bin mitten im Dschungel. Bin ich auch, aber mein nichtvorhandenes Spanisch hilft mir an der Dorfinformationstafel zu entziffern, dass amerikanische Entwicklungshelfer soeben eine Schulband gegruendet haben und den Titanic Soundtrack einstudieren um die Lebensqualitaet der Menschen hier zu verbessern. Das halt ich nicht aus, denk ich mir, ich leih mir ein Kajak und verschwinde tiefer in den Dschungel, dorthin, wo es keine Entwicklungshelfer gibt, benoetigt, dort wo man den Dingen am besten tut, indem man sie in Ruhe laesst. Tortuguero ist der letzte Regenwald, dem ich mich auf dieser Reise aussetze, und stellt mit seiner alles uebertreffenden Tierwelt einen unglaublichen Abschluss dar. Man stelle sich einen natuerlich angelegten Tiergarten ohne Zaeune vor, verdopple die Anzahl und Vielfalt der Arten und halbiere die Besucher, dann ist man immernoch weit von dem entfernt, was ich von Tortuguero in Erinnerung behalten werde. Leguane, Affen, Kaimane, Fischotter, Tukane und hundert ander Voegel, und das sind nur diejenigen, die sich gerne herzeigen. In so einer Umgebung vergisst man die Zeit, und das ist genau das, was ich im Moment brauche. Ich verbringe einen ganzen Nachmittag, Tag, zwei Tage dort und bekomme nicht genug, wundere mich und staune. In der letzten Woche habe ich mehr Schlangen gesehen als auf dem Rest der ganzen Reise, werde von der Euphorie zum Leichtsinn getrieben und lasse mir erst im Nachhinein von einem Biologiestudenten erklaeren, welche Dosis Nervengift ich da von zehn Zentimetern Entfernung begutaeugle und auf meiner Memorycard neben ausbrechenden Vulkanen, mittelamerikanischem Marktgeschehen und jagenden Giftpfeilfroeschen verewige. Ich geniesse die letzten Menschen und Charaktere, die ich auf dieser Reise suche und kennenlerne. Eine franzoesische Fernsehjournalistin, eine Biochemikerin und ein Landkartenzeichner aus Amerika, ein Kinderarzt aus Deutschland, zwei Aussteiger aus Wien, die in Panama selbstgeflochtene Armbaender auf der Strasse verkaufen, ein Costa Ricanischer Security, der sich zur Ruhe gesetzt hat und nun die Jugendherberge seiner Mutter bewacht. Was werde ich vermissen, die Menschen selbst oder einfach nur die Intensitaet, mit der ich sie treffe? Nein, sag ich mir, ich bin nicht der Typ Mensch, der etwas vermisst, obwohl ich gerne daran zurueckdenke. Wenn ich uebermorgen in das Flugzeug nach New York steige und dort nach sieben Monaten auf einen Teil meiner Familie treffe geht ein Abschnitt zu Ende, beginnt ein neuer. Das Erleben an sich wird abgeloest von einer Phase der Erzaehlung, die Phase der Erinnerung. Wenn ich beginne darueber zu berichten, was war und was gewesen ist, wird keines dieser Erlebnisse jemals wieder so unmittelbar und echt sein, wie es sich im Moment noch anfuehlt. Zur Realitaet hinzu kommt der Rueckblick, unter die Erinnerung mischen sich Assoziationen. Ich fuerchte mich schon jetzt vor Fragen wie "Wie war's" oder "Wo hat's dir am besten gefallen". Erzaehlungen und Geschichten setzen Schwerpunkte auf gewisse Erlebnisse, die sich leichter und spannender vermitteln lassen, verdraengen aber oft die Kleinigkeiten und Details, die eine Erfahrung dazu machen, was sie ist. Am liebsten wuerde ich entweder in einem siebenmonatigen Vortrag das komplette Programm erzaehlen oder aber gar nichts, einfach eine Menge Flugtickets besorgen und jeden Menschen selbst dorthin schicken, ihn selbst sehen lassen, sie selbst empfinden lassen.
Drei Wochen in Costa Rica inkl. Abstecher in die Nachbarlaender sind ein Verbrechen. Ein groesseres Verbrechen als fuenfeinhalb Wochen Neuseeland, ein Serienmord im Vergleich zu zwei Monaten Suedostasien. Was Lateinamerika heisst weiss ich immer noch nicht, wie soll man das auch herausfinden in so kurzer Zeit. Als ich heute allerdings erneut durch die Strassen San Joses ging empfand ich viele Dinge als normal, die mir vor drei Wochen noch stoerend vorkamen, und schaetzte andere Dinge in einem besonderen Ausmass, die mir das letzte mal wiederum normal und gewoehnlich erschienen. Mehr Zeit und Spanisch, das ist die Grundvoraussetzung fuer die naechste grosse Reise hierher, denn im Moment kann ich es nichteinmal dem verfehlten Trickbetrueger uebelnehmen, dass er mich mit meinem "I love SF" T-Shirt sowohl damals als auch heute plump und ungeschickt wie eine Weihnachtsgans ausnehmen wollte. Die selbe Tour, die selbe Strassenecke. Die selbe Stimme. Ich mag mich schwer tun, mich an die hundert Namen der Menschen zu erinnern, auf die ich in den letzten Monaten gestossen bin, aber ihre Stimmen vergesse ich nicht, die Stimme ist die eine Koerpereigenschaft, die mir am staerksten in Gedanken haengen bleibt, mein persoenliches Souvenir, das ich mir von jedem Kontakt aufbehalte. Appropros Sourvenirs. Hier und dort merke ich schon, dass es mit der Zeit Zeit wird, nachhause zu gehen. Ohne Probleme koennte ich noch zwei Monate, sechs Monate oder ein Jahr weiterreisen, und doch komme ich mir langsam vor wie ein wandelnder globaler Souvenirtandler. Ein dutzend T-Shirts, eine Ukulele, zwei Huete, ein Ring, ein Stueck Holz, ein Stoffaffe, ein Kilogramm Kaffe und wasauchimmer ich da sonst noch so in den tiefsten Abgruenden meines Rucksacks mit mir herumschleppe. Es ist Zeit, auszuladen. Ich dachte immer, dass man deshalb an einen Ort und ein Zuhause zurueckkehrt, um aufzutanken, um etwas aufzusammeln, das man zuerueckgelassen hat, und doch verhaelt sich das Reisen wie ein Perpetuum Mobile, ermoeglicht einem sich von neuen, unbekannten Dingen zu ernaehren. Ich mache mich auf den Heimweg, weil es Zeit dazu ist, zumindest versuche ich mir das auf allen Ebenen einzureden.

Montag, 5. Februar 2007

Ueber die neunzigste Minute...

Das Spiel naehert sich der Endphase. Gestern habe ich den letzten und vierzehnten Stempel in meinen Pass bekommen, in Panama bekommt man fuer einen US Dollar zweiundzwanzig Bananen. Wie ein kleines Kind vor Weihnachten zaehle ich die Naechte bis zum Tag X, aber gleichzeitig habe ich mich damit abgefunden, und somit einen Punkt erreicht, an dem Zeit und das Ablaufen von Zeit keine Rolle mehr spielen, sondern eine Zeitlosigkeit in den Vordergrund rueckt. In dieser Phase, dem Beginn der Nachspielzeit, geht es nicht mehr um ein Resultat, das sich nur aeusserst unwahrscheinlich noch aendern koennte. Es geht um das Spielen selbst, um die Freude am Spiel, um die Rueckkehr zum Ursprung, der Motivation, warum ich diesen Sport eigentlich begonnen habe. Es beginnt die Eigenheit, in der alles an Bedeutung gewinnt, es beginnt das Zurueckdenken an den Weg, der einen dorthin gebracht hat hat, wo man sich jetzt befindet. Und doch ist man noch da, auf eben diesem Weg, der unverweigerlich wieder dorthin zurueckfuehrt, wo man begonnen hat, auch wenn man dort als anderer Mensch ankommt, so vermute ich. "Wo bin ich hier und jetzt?", frage ich mich, doch darauf folgt ein "Wohin kann ich von hier aus weitergehen?", und nicht ein "Wo wollte ich eigentlich hin, als ich aufbrach?" In allem, was ich tue, geht es normalerweise um ein Ziel, das ich bis zur Erfuellung verfolgen will. Und doch ergibt sich immer schon ein neues Ziel, bevor das erste, eigentliche, ueberhaupt erreicht ist. Vielleicht wiederspreche ich damit dem Dailei Lama, Konfuzius oder von mir aus auch dem Papst, aber der neue Weg fuehrt meistens weiter, schliesst das alte Ziel mit ein, und sorgt so fuer ein Kontinuum der Motivation. Ich befinde mich in der neunzigsten Minute, freue mich zwar auf das Auslaufen nach diesem einen Spiel, aber umsomehr auf den Beginn eines neuen, uebergeordneten Wettkampf, an dem ich nicht teilnehmen duerfte, wenn ich nicht erst in diesem Spiel angetreten waere. Aus dem Moment, den ich hier und jetzt erlebe, aus dem Zurueckdenken an das, was war, folgt einerseits eine Zufriedenheit mit dem, was jetzt ist, eine Rueckkehr zum Ursprung, und trotzdem der Beginn von etwas Neuem. Oh wie schoen ist Panama, sagt Janosch. Das bezieht sich weder auf die Zukunft, noch auf die Vergangenheit. Ich denke aehnlich, aber so vollkommen wuerde ich beides nicht ausser Acht lassen.
m

Sonntag, 4. Februar 2007

Ueber Bestechungsgelder, 21 und Morbus Ritardando Rhythmus...

Ja... ich... aehm. Morbus Ritardando, die extreme Verlangsamung, frei nach Gert Jonke. Die Karibikkueste Costa Ricas ist eine Ansammlung von Originalen. Charaktertypen, die man in einem Bilderbuch nicht schaerfer zeichnen koennte. Erst einen Nachmittag bin ich da, aber morgen hau ich ab, ueber die Grenze, in ein anderes Land, diese absolute Langsamkeit hier und in all den Menschen halt ich nicht aus. Wie sie schauen, wie sie reden, oder bessergesagt dazu ansetzen, weil bis zum eigentlichen sprechen vergeht schon eine Minute, wenn sie sich ueberhaupt entschliessen zu sprechen. Den Begriff Zeit gibt es hier nicht, und wenn doch, wird er von der Gesellschaft ignoriert. Karibik, Rasta, Reggae... ich hab mir das immer anders vorgestellt, nicht so, und doch bekommt man das Gefuehl, dass es echt ist, so wie es hier ist, und das was wir kennen nur ein zweidimensionaler Abdruck. Wieauchimmer, schoene Straende aber nicht meins, Ende des Kapitels, morgen fahr ich nach Panama.
Das Land mit den gemuetlichsten Haengematten (und ich wage zu behaupten, dass ich darin mittlerweile Erfahrung habe) hab ich wieder verlassen, leider schon nach fuenf Tagen. Und erstaunlicherweise vollkommen ohne Probleme... was einem von anderen Reisenden da fuer Schauermaerchen aufgebunden werden: Bestechungsgelder, tagelange Wartezeiten und Quarantaene. Aber ich hab so eine Unkompliziertheit schon irgendwie erwartet, und da ich Nicaragua trotzdem nicht verlassen wollte, so ganz ohne den geringsten Bestechungsversuch zumindest, hab ich in Granada Prophylaxe betrieben. Und wenn, dann bestech ich doch gleich einen Priester, der mich fuer einen Dollar auf seinen Kirchturm steigen laesst. Zurueck in Costa Rica komme ich zum ersten Mal auf dieser Reise in einem Dorf an, in dem scheinbar kein einziges Bett frei ist. Nach einer Stunde Herbergssuche, ironischer Weise mit zwei Israelis, finde ich dann doch noch eine Matratze, in der ich ohnehin in dieser Nacht nicht zu schlafen plane. Ich schreibe die Zahl 21 in den Sand, ein Australier fragt mich, was das soll, ich erklaere ihm dass sie fuer die Anzahl der Jahre steht, die ich auf diesem Erdball verbracht und genossen habe. Offenbar ueberreisst er nicht, was ich damit meine, aber ihm gefaellt die Idee, und deshalb schreibt er auch sein Alter in den Sand, einfach so zur Wertschaetzung des Lebens. Ich fuehle mich wieder einmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, treffe auf die perfekte Auswahl an Amerikanern, Kanadiern, Argentiniern und Australiern, um das Faktum zu feiern (oder zu betrauern), in keinem Land dieser Welt jemals wieder Kind sein zu duerfen. Ueber Mitternacht geh ich im Pazifik baden, mehr oder weniger, und das beste daran ist, noch am selben Tag auch im Atlantik zu schwimmen. Darauf hab ich mich gefreut, mir gefaellt einfach der Gedanke. Ich treffe wahrscheinlich keinen einzigen dieser Menschen jemals wieder, und doch war es gut, sie fuer die eine Nacht kennen zu lernen. In einem anderen Land spielt es keine Rolle, wie lange eine Freundschaft schon besteht oder noch bestehen wird, es geht wie immer nur um den Moment, und der fuehlt sich gut an. Was Lateinamerika wirklich ist, weiss ich nochimmer nicht. Vielleicht ist es doch auch nur wieder so ein verfehltes Gedankenkonzept, das zwar in mancher Weise an die Realitaet erinnert, aber nicht unbedingt ein Abbild davon zeigt. Seit dem ersten Tag in Costa Rica moechte ich etwas ueber das Thema Rhythmus schreiben, aber das was ich dazu denke, ist nicht erfuellend genug. Ja, Rhythmus ist das beste Wort um das Gefuehl zu beschreiben, hier zu sein, rechtfertigt, dass es einem gut geht, wenn man um vier in der Frueh in einen Bus steigt, muede ist, sich aber nicht muede fuehlt. Musik ist hier ueberall, der Rhythmus, den man sucht und erwartet, ueberall vorhanden, und doch wird nicht das gespielt, was man sich in Gedanken ausmalt. Auch in Lateinamerika gibt es den Rhythmus der Eintoenigkeit, die selben Schlaege immer und immer wieder, und das enttaeuscht. Ich schreibe das aber nicht eben deshalb, weil ich enttaeuscht bin, sondern vielmehr, weil es dadurch leichter faellt, neue Rhythmen und Toene zu schaetzen. Auch hier gibt es Dinge, die herausstechen. Etwas Einzigartiges waere nicht einzigartig, wenn es nicht in Relation zu etwas Eintoenigem stehen wuerde. Ich suche hier nach den Synkopen... Nicaragua ist voll davon, in Costa Rica muss man etwas mehr danach suchen. Der Raggae dieses Ortes tut mir mittlerweile in den Ohren weh, aber wie jedes Land hat Costa Rica mehr zu bieten als nur eine Musikrichtung.

Mittwoch, 31. Januar 2007

Ueber Gefuehl, kleine Brueder, Schall und Rauch...

Egal ob man von Thailand nach Laos kommt, von den USA nach Kanada, oder von Costa Rica nach Nicaragua... irgendetwas veraendert sich im Gefuehl, in der Einstellung, hier zu sein. Der Ansatz zur Auseinandersetzung mit einem fremden Land beginnt zunaechst immer einmal mit dem Namen, der sich spaeter zumeist als unwesentlich herausstellt. Thailand - das Paradies Suedostasiens. Costa Rica - verkauft sich am Werbeplakat sicher besser als Nicaragua. USA - im Grunde nur eine Umschreibung fuer den Nordamerikanischen Kontinent. Und doch haben die "kleinen Brueder" etwas faszinierendes an sich, wenn mal erst einmal da ist, ganz egal ob sich das auf besondere Charakterzuege bezieht, oder einfach nur auf das Faktum, dass sie eben nicht der grosse, bekannte Erstumworbene sind. Die ersten Tage in Costa Rica waren in jeder Hinsicht faszinierend, und trotzdem fuehle ich mich nocheinmal wohler, seitdem ich vorgestern den zugegeben eigenartigen Namen Nicaragua in meinen Pass gestempelt bekommen habe. Viel Zeit habe ich nicht, und trotzdem ist das Bild, den Eindruck den ich bekommen habe, schon wesentlich konkreter als das, was ich ueber Costa Rica denke. Im Moment befinde ich mich in Granada, nach zwei wunderbaren Naechten in der Heimatstadt Ruben Darios, Leon. An welchen Parametern man das Gefallen oder Misgefallen einer Stadt, eines Landes, messen kann, weiss ich noch immer nicht, aber grundsaetzlich hat es einfach mit dem Gefuehl zu tun, dort zu sein. Nicaragua ist zugegeben das Land fuer Transportmasochisten, abgesehen von Kambodscha, wo das ganze mehr mit Folter als Masochismus zu tun hat, und trotzdem wird man nicht muede von dem, was man sieht, wenn man aus dem Fenster schaut. Wie immer bieten sich zwei Moeglichkeiten, an einen neuen Ort zu kommen. Den direkten, in dem man um acht in einen Bus mit verdunkelten Fenstern steigt und fuenf Stunden spaeter vor seinem im voraus gebuchten Hostel abgeliefert wird. Oder die Variante, in der man um vier unter lateinamerikanischem Sternenhimmel einen Bus ohne Tueren aber der doppelten Menge Sitzbaenken betritt, im Halbschlafkoma von der Quantas Economy Class traeumt und sich mit jedem weiteren Fahrgast, der einsteigt, aufs neue wuenscht, nicht im Jahr von Tschernobyl geboren worden zu sein. Man steigt sechs Mal um, sucht in Managua, der Stadt mit dem groessten Potential, am helllichten Tag ausgeraubt zu werden, nach einer Bushaltestelle, ohne ein Wort Spanisch zu sprechen (Selber Schuld!), ohne Stadtplan und generell ohne Plan, an welche Haltestelle man eigentlich will. Trotz voraussehbarer Magenvergiftung (klingt im deutschen wesentlich brutaler als das englische Foodpoisoning, das scheinbar schon fuer versalzte Suppen verwendet wird, also keine Sorge) probiert man sich dann durch alles essbare, das irgendwie unbekannt scheint und bei 15 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit von Sitznachbarn verkauft wird. Lernt schlussendlich doch das Basisspanisch aus dem Lonelyplanetanhang und stellt sich selbst die Bedingung, erst wieder hierher zurueckzukommen, wenn man zumindest soviel versteht, um sich nicht vollkommen bloed und beinahe ignorant gegenueber den Einheimischen vorzukommen. In den letzten Monaten habe ich gelernt, die richtige Entscheidung zu treffen, und deshalb waehle ich Variante zwei und stell mir meinen Wecker. Denn worauf es ankommt ist, dass ich trotz allem rechtzeitig zum Sonnenuntergangslicht vor der Kathedrale in Leon stehe, das Gefuehl habe, mehr erlebt zu haben als ich erwartete, und - beim zurueckdenken an den vergangenen Tag - nicht einen Moment finden kann, in dem ich nicht begeistert und erfuellt war, in dem ich mich nicht ueber das freue, was ich erleben darf, oder in dem ich mir wuenschen wuerde, irgendwo anders zu sein. Das, was Nicaragua, Laos oder Kanada in meinen Augen besonders macht, ihnen einen anderen Charakter verleiht als den grossen Bruedern, ist nichts bestimmtes. Es ist keine einzelne Attraktion, mehr die Atmosphaere. Vielleicht sogar einfach nur ein Sympathieprinzip, das sich alleine durch persoenliche Vorzuege, also Sympathie, und durch nichts anderes beschreiben laesst. Aussergewoehnliches findet man ueberall, und obwohl ich mir selbst immer wieder darueber bewusst werde, dass ich auch nur ein Tourist bin, finde ich mehr Gefallen daran, Kleinigkeiten herauszufordern und generell danach zu suchen, was andere gar nicht finden wollen. Neun verschiedene Lonely Planet Editionen habe ich auf dieser Reise verwendet, und auch wenn die meisten Fotos das zeigen werden, was man von ihnen erwartet, naemlich Sonnenuntergaenge, Denkmaeler, tropische Straende und Nationalparks, ist trotzdem das, was mich wirklich motiviert haelt, das, was mich nicht los und nachhause lassen will, etwas anderes, etwas scheinbar unbedeutenderes. Und dies sind die Kleinigkeiten, die ich in Nicaragua oder Laos haeufiger finde.
Dass ich in diesem Land nichteinmal eine ganze Woche bleibe beweist wieder einmal, dass der Genuss selbst groesser ist, wenn er zeitlich begrenzt ist. Natuerlich haette ich mehr davon, ein Monat oder ganzes Jahr hier zu bleiben, aber es war von Anfang an klar, dass ich - von all diesen Laendern - lediglich einen Eindruck und nicht eine Einsicht erhalte. Ein Trailer ueber den Weltepos sozusagen, ein endloser Film ueber das, was die Welt zu bieten hat, und die Menschen, die sie besiedeln. Nicaragua scheint mir eine diese Szenen zu sein, in der der Zuseher den Kern des Themas erfasst, in der sich die Geschichte entwickelt und neues offenbart, das man nicht erwartet haette. Vorgestern Abend war ich bei einer einheimischen Familie zum Essen eingeladen, versuchte mit Haenden und Fuessen (und einem gelegentlichen "muchos bonitos") zu erklaeren, dass es mir hier gefaellt (im Grunde versuche ich dasselbe mit diesem Eintrag), und wunderte mich einmal mehr ueber die Gastfreundschaft von Menschen, die mich nicht kennen, noch nie gesehen haben. Am naechsten Tag steige ich schon wieder auf einen Vulkan, doch zur Abwechslung fahre ich die Steinpiste mit einer Gruppe Englaender auf einem Holzbrett hinunter, die den Wettbewerb fuer die meisten offenen Wunden unter sich ausmachen. Zuviel geht in meinem Kopf vor, als dass ich in allem einen Sinn entdecke, oder ueberhaupt zu suchen beginne, jedem Erlebnis einen Nutzen zuordnen kann. Das einzige, was ich nur immer wieder wiederholen kann ist, dass es mir gut geht. Sehr gut.
m

Henry David Thoreau

I went to the woods because I wished to live deliberately, to front only the essential facts of life, and see if I could not learn what it had to teach, and not, when I came to die, discover that I had not lived.

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Zuletzt aktualisiert: 12. Dez, 15:54

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